Was tun gegen die Einsamkeit? – Kinder und Jugendliche in der Pandemie stärken

Ein Jahr leben wir nun in einem Ausnahmezustand. Jeder versucht sein Möglichstes, um einigermaßen unbeschadet durch diese Zeit zu kommen. Erwachsene haben oftmals eine ausgeprägtere Resilienz als Kinder und Jugendliche. Alle reden vom Bildungsnachteil durch die Corona-Krise (der sicher nicht wegzudiskutieren ist), nur wenige von den psychischen Schäden der Kinder und Jugendlichen, die bereits im ersten Lockdown nachgewiesen wurden. Einer Studie aus Wuhan zufolge klagten fast ein Viertel aller befragten Zweit-bis Sechstklässler:innen (diese Kinder sind zwischen 7 und 11 Jahre alt) über Anzeichen einer Depression oder Angstsymptome, jeder dritt(e) Schüler:in zeigte sich besorgt. Und was Sorgen mit Menschen machen können, wissen wir alle. Die Zahl der psychischen Erkrankungen stieg bereits in den letzten Jahren massiv an, bereits bis zu 20% aller Kinder und Jugendlichen leiden unter psychischen Auffälligkeiten. Das sind also etwa 5 Schüler:innen pro Klasse!

Was kann Schüler:innen und vielleicht auch Lehrer:innen helfen?

Ein strukturierter Tagesplan für Orientierung zum Beispiel. Nun kann man sagen bei Unterricht nach Stundenplan ist dieser vorgegeben. Das mag oberflächlich stimmen. In der Tiefenstruktur offenbart sich jedoch, dass Schüler:innen unter Umständen das Drumherum nicht organisieren können. Ein reales Fallbeispiel:

Ein Schüler lebt mit 4 Geschwistern und den Eltern in einer 4 Zimmer Wohnung. Alle Kinder sind im Onlineunterricht nach Stundenplan. Die Familie hat 4 PCs. Beide Eltern arbeiten ebenfalls von zuhause und versuchen, wenn möglich, nachmittags/ abends zu arbeiten, so dass die Kinder vormittags keinen Nachteil haben. Der Schüler hat aufgrund einer Fluchterfahrung Probleme mit dem Schlafen, der Motivation, der Tagesstruktur, er macht sich Sorgen um die Verwandtschaft im Herkunftsland. Oberflächlich gesehen hat der Schüler einen PC für eine Teilnahme am Onlineunterricht, kann aber nachmittags nicht daran teilnehmen, weil die Eltern den PC manchmal brauchen. Er hat auch einen Tagesplan, da nach Stundenplan unterrichtet wird. Was er aber nicht hat, ist Zeit, um sich selbst zu organisieren, weil er drumherum auch manchmal auf seine kleinen Geschwister aufpassen muss, wenn die Eltern außer Haus müssen, um die kranke Oma zu pflegen. Er kann auch nicht schlafen, also ist er bis nachts wach, und spielt am PC, damit er seine Gedanken nicht hört. Also kommt er morgens auch schlecht aus dem Bett. Am Nachmittag versucht er seine Hausaufgaben zu machen oder Stoff nachzuholen, den er nicht mitbekommen hat. Er hat mir gesagt, er hat den Überblick verloren, er weiß nicht mehr was er für welches Fach wann machen muss. Er ist auch kein “digital native”, denn die gibt es eigentlich gar nicht. Er kann sein Handy bedienen, das war´s. Er hat sich auch erst in Klasse 8 eines zugelegt, weil er “die Dinger nicht leiden kann”, aber brauchen tut man sie trotzdem. Mehr und mehr entgleitet er den Kolleg:innen. Ist bei Videokonferenzen zwar anwesend, aber auch geistig dabei? Er vergisst oft seine Aufgaben hochzuladen, Feedback fällt oft negativ aus, weil er nicht alles mitbekommt und sich nicht organisieren kann. Er wird zunehmend demotivierter, der Ton wird rauer, er beginnt zu lügen, weil er überfordert ist… ganz ehrlich, verständlich! Mittlerweile kommt er kaum noch aus dem Bett, isst kaum oder unregelmäßig, hat den Kontakt zu Mitschüler:innen auf ein Minimum beschränkt, geht nicht mehr raus. Manchmal sitzt er stundenlang im Zimmer und macht nichts.

Im Präsenzunterricht würde das Verhalten wahrscheinlich auffallen, aber im Onlineunterricht, wenn alle die Kameras aushaben, bleibt das lange unentdeckt. Man ist als Lehrkraft darauf angewiesen, dass Schüler:innen sich öffnen oder man wirklich hinsehen kann und aktiv zuhört, oder den Eltern etwas auffällt. Was kann man als Lehrkraft anbieten, um der Einsamkeit im Kinderzimmer zu entkommen?

Hier mögliche Optionen:

  • hinsehen, hinhören und aktiv nachfragen (Einzelgespräche führen > Vielleicht im Klassenteam absprechen, wer mit welchem Schüler:in spricht?)
  • einplanen von bewussten “socializing” Phasen in jeder Videokonferenz und in jedem Assignment, fördere die Kommunikation der Schüler:innen untereinander
  • vermittle eine positive Sicht auf die Dinge, versuche Ängste zu nehmen
  • erzähle von eigenen Strategien, um mit Stress umzugehen
  • plane Pausen und Bewegungspausen ein
  • gebe zielgerichtetes und konstruktives Feedback, dass Schüler:innen aufbaut
  • gestalte den Unterricht so abwechslungsreich wie möglich (stell dir vor du musst 3x am Tag Aufgaben aus dem Buch bearbeiten, alleine ohne Hilfe)
  • gebe Aufgaben auf, die Schüler:innen draußen oder mit einem Freund machen können
  • weniger Stoff und mehr Beziehungsarbeit im Unterricht (einbauen von Icebreakern, Spielen, Quizzen…)
  • regelmäßige Lernstands- und Emotionsabfragen und den Ergebnissen auch Handlungen folgen lassen, wenn nötig
  • gemeinsame Organisations- und Strukturhilfen mit Kolleg:innen und Schüler:innen entwickeln
  • Tandempartner vermitteln (man lernt zu zweit immer besser als alleine)
  • mal eine Spielstunde machen, Vokabeln kann man auch über hangman abfragen, Strukturen und Formen über Skribbl
  • lasse Schüler:innen den Unterricht aktiv mitgestalten, Themen auswählen
  • initiiere begleitende Projekt (Brieffreundschaften aufleben lassen, starte ein eigenes padlet zu einer Mathematik-, Erdkunde- oder Politikchallenge…)
  • bespreche dich mit Kolleg:innen oder in den Fachschaften, findet gemeinsame Wege

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