Wie hast du´s mit den Noten? – Eine Gretchenfrage in Schule

Fragt man Schüler:innen nach der Relevanz von Noten zeichnet sich ein abstraktes unspezifisches Bild. Die Aussagen reichen von „(…) ich wüsste jetzt nicht was [ich über Noten erzählen sollte]“ bis hin zu „Noten sind mittelwichtig (…) auf dein Zeugnis müssen ja auch gute Noten stehen denn du musst ja auch eine gute Arbeit bekommen (…).“ Die Diskussion um Noten beschäftigt alle Beteiligte des Schullebens. Vieles wird kritisiert und in Frage gestellt und manchmal sogar als unumstößlich hingenommen. Die Frage nach alternativen Benotungs- und Beurteilungsformen beschäftigt mich bereits seit meinem Erststudium. Jegliche alternativen Konzepte sind bisher für mich nur punktuell umsetzbar gewesen und sind sowohl am System der Ziffernnoten als auch an der Forderung nach diesen gescheitert. Die Frage nach alternativen Bewertungsformen taucht nun wieder auf, auch breit gestreuter auf.

  • Wie soll ich mündliche Noten geben, wenn die Schüler:innen gar nicht in der Schule sind?
  • Ich kann Klassenarbeiten nur in halben Gruppen schreiben, wie gewährleiste ich, dass sie nicht abschreiben, sich austauschen?
  • Was für Möglichkeiten habe ich außer Klassenarbeiten, Vokabeltests, mündlichen Abfragen und mündlichen Noten?
  • Wie kann ich in einer Pandemie “gerechte” Noten geben?

Besonders jetzt, stehen wir alle vor der pädagogischen Herausforderung, Leistungssituationen zu schaffen, die schulische Leistung, entsprechend individueller Voraussetzungen, sichtbar machen können. Hattie geht davon aus, dass 50% des Schulerfolgs von individuellen Eingangsvoraussetzungen abhängen. Damit ergibt sich, bei derart hohen Anteilen, auch die Frage nach einer Neudefinition des Leistungsprinzips in Schule, auch unter Berücksichtigung des steigenden Anspruchs inklusiv zu beschulen bei einem hohen Maß an Heterogenität mit dem Ziel Chancengleichheit herstellen zu wollen. Nichts desto trotz muss Schule, durch Vergabe von Noten, ihrer Selektionsfunktion gerecht werden, selbst wenn man die pädagogische Bedeutung von Noten in Frage stellt.

Damit Beurteilungs- und Leistungssituationen “gerecht” sein können, müssen sie bekannten Gütekriterien genügen.

  • Ist die zu vergebende Note objektiv und damit unabhängig von der bewertenden und zu bewertenden Person?
  • Ist das angewendete Instrument der Leistungserhebung auch reliabel, hat also keine Fehler und würde bei Wiederholung zu gleichen Ergebnissen führen?
  • Und ist die Note valide? Misst also auch tatsächlich was sie messen soll?

Dass diese Beurteilungskriterien störanfällig sind, wurde hinlänglich bewiesen. Insbesondere durch Vorurteile der Lehrpersonen, ungleichmäßige Ausschöpfung des Bewertungspektrums oder dem Halo-Effekt gibt es Einschränkungen bei der Umsetzung der Kriterien. Die Frage nach der Praktikabilität dieser Forderung besteht weiter. Wenn eine Lehrkraft für die Legitimierung ihrer Noten 45 Minuten benötigt, um nach transparenten Kriterien zu urteilen, ist dies pädagogisch sinnvoll und wertvoll, zeitökonomisch jedoch fast nicht durchzuhalten, auch unter Berücksichtigung dessen was Lehrkräfte ohnehin alles leisten.

Was sind Folgen von Bewertung für die Schüler:innen?

„Noten sind nicht in der behaupteten Weise für das Lernen nützlich und sie sind erst recht nicht nötig.“ Diese Aussage steht im Widerspruch zu der weiterhin hohen Bedeutung der Ziffernote im deutschen Schulsystem, selbst die sogenannten „Kopfnoten“ werden in Ziffern dargestellt. Noten haben eine Auswirkung auf das persönliche Selbstkonzept von Schüler:innen, bei Mädchen zeigt sich eine wesentlich ungünstigere Attribuierung. In einer
Längsschnittstudie wurde bisher deutlich, dass das Selbstkonzept von Gymnasiasten nach dem Übergang von der Grundschule im Vergleich zu Hauptschülern deutlich höher lag, sich aber schnell an die Bezugsgruppe anglich. In einer anderen Studie wies Fend nach, dass die „generalisierte Selbstakzeptanz“ langfristig nicht von schulischer Leistungsbewertung abhängt, sondern zwischen dem sechsten und zehnten Schuljahr sogar abnimmt. Man muss sich also fragen, was die Selbstverständlichkeit und Attraktivität von Noten im Schulalltag ausmacht. Und vielleicht auch für wen sie überhaupt attraktiv sind? Schüler:innen wollen sich messen, wollen wissen wo sie stehen. Die Frage ist doch, ob es keine Alternativen dazu gibt, Schüler:innen permanenten Bewertungssituationen auszusetzen. Stell dir vor, du kommst morgens in die Schule und bist, bis zu dem Zeitpunkt des Klingelns am Ende des Tages ausschließlich solchen Situationen ausgesetzt. Wie soll man da eigene Stärken und Schwächen erkennen? Grenzen erfahren oder an sich arbeiten?

Wie hältst du es nun mit den Noten? Sind Zweifel aufgetaucht? Fragen? Ideen? Ein Gefühl im Bauch, etwas Neues auszuprobieren? Dann tausche dich aus, vernetze dich. Stoße Gespräche in den Fachschaften an. Oder lies im nächsten Artikel über erprobte alternative Prüfungformate.

Literatur zum Nachlesen:

  • Beutel, W. (red.). (2014). Reihe Politik und Bildung: Bd. 73. Individuelle Lernbegleitung und
    Leistungsbeurteilung: Lernförderung und Schulqualität an Schulen des Deutschen
    Schulpreises (1. Aufl.). Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verl.
  • Beutel, S.-I., Höhmann, K., Schratz, M., Pant, H. A. (red.). (2017). Handbuch gute Schule: Sechs
    Qualitätsbereiche für eine zukunftsweisende Praxis (2. Auflage). Seelze: Klett/Kallmeyer.
  • Reusser, K. (2011). Von der Unterrichtsforschung zur Unterrichtsentwicklung- Probleme,
    Strategien, Werkzeug. W: W. Einsiedler (red.), Unterrichtsentwickung und Didaktische
    Entwicklungsforschung (s. 11–40). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
  • Sacher, W. (2013). Überprüfung und Beurteilung von Schülerleistungen. W: L. Haag, S. Rahm,
    H. J. Apel, W. Sacher (red.), UTB Erziehungswissenschaft, Schulpädagogik: Nr. 2949.
    Studienbuch Schulpädagogik (S. 304–324). Bad Heilbrunn, Stuttgart: Klinkhardt; UTB.
  • Wild, E., Möller, J. (red.). (2015). Springer-Lehrbuch. Pädagogische Psychologie (2. Aufl. 2015.
    vollst. überarb. u. aktualisierte). Berlin, Heidelberg, Springer Berlin Heidelberg.
  • Winter, F. (2017). Neue Formen der Leistungsbeurteilung. Pädagogik. (9/17), 14–18.
  • Zaborowski, K. U., Meier, M., Breidenstein, G. (red.). (2011). Leistungsbewertung und
    Unterricht: Ethnographische Studien zur Bewertungspraxis in Gymnasium und
    Sekundarschule (1. Auflage). Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH; VS Verlag für
    Sozialwissenschaften

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